++ For English version please scroll down ++

„Insgesamt 52 Projekte der Freien Darstellenden Künste werden in der Spielzeit 2024/25 mit zusammen über 1,7 Millionen Euro von der Behörde für Kultur und Medien gefördert.“

So beginnt die Pressemitteilung der Behörde für Kultur und Medien, um die Projektförderungen für die nächste Spielzeit bekanntzugeben. Wir als Vorstand des Dachverbands freier darstellender Künste möchten mit dieser Stellungnahme hervorheben, was das für die freien Künstler:innen in Hamburg bedeutet und in welcher existenzbedrohenden Situation sich die freie Szene befindet. 

Den 52 geförderten Anträgen stehen 265 Projekte gegenüber, die nicht realisiert werden können. Gerade im Bereich Sprech- & Musiktheater und Performance sind wir bestürzt und ernüchtert über eine Förderquote von 12%.

Wäre die freie Szene in Hamburg ein Theaterhaus, hieße das, von 100 Mitarbeitenden bekämen 88 ein Jahr lang kein Gehalt mehr. Wie groß wäre die Motivation für diese 88 Menschen, weiterzumachen? Würden sie sich nicht angesichts des Fehlens von Perspektiven schnell nach neuen Stellen in anderen Städten umsehen oder beruflich ganz umsatteln? Was würde das für die 12 Mitarbeitenden bedeuten, die ihr Gehalt bekommen? Was würde das für die Strahlkraft und die Struktur des Hauses bedeuten? Und könnte die Arbeit an diesem Haus noch funktionieren? 

Wir sagen nein! Aber wie sieht dann die Zukunft dieses Theaterhauses der freien Szene aus, dessen Relevanz in der Kultur der Stadt stetig zunimmt: „Die Produktionen thematisieren oft aktuelle gesellschaftliche Diskurse und tragen sie damit in die Stadtgesellschaft. Ihre Projekte schaffen neue Perspektiven und fordern Zuschauerinnen und Zuschauer offensiv zum Dialog auf.“ (Senator Brosda)

Eine Förderquote von 12 % im Bereich „Performance, Sprech- und Musiktheater“ kann nicht bedeuten, dass versucht werden muss, hier und da ein Fördervolumen aufzustocken, um weitermachen zu können. Eine Förderquote von 12 % schreit nach einem grundlegenden „Handlungsbedarf, der sowohl eine Neuakzentuierung der Förderarchitektur als auch eine Aufstockung der Fördermittel nahelegt“ wie Dr. habil. Alexandra Manske in dem im Oktober 2023 erschienenen „Gutachten zur aktuellen Lage der freien darstellenden Künste“ darlegt.

Nur wenn die Rahmenbedingungen stimmen, können die Künstler:innen ihren Aufgaben nachgehen. Nur dann können sie mit ihrer Kunst die kulturelle Identität Hamburgs prägen, gesellschaftliche Themen reflektieren und den sozialen Austausch fördern. Hierfür bedarf es u.a. einer zeitgemäßen Förderarchitektur, die den Akteur*innen der freien darstellenden Künste eine durchgängige Arbeitsbiografie als Künstler:in ermöglicht.

Wir fordern von der Kulturpolitik, die prekären Arbeitsbedingungen der freien Szene zu überwinden und dieFördermittel zu erhöhen, damit sich das in den letzten Jahren stark gewachsene Potential der Szene der freien darstellenden Künste in Hamburg weiter entfalten und für die Stadtgesellschaft nutzbar gemacht werden kann. Nicht zuletzt müssen hierfür die Rahmenbedingungen und Arbeitsstrukturen der Szene im Sinne der Diversität und Inklusion entwickelt werden.

Wir brauchen eine Kulturpolitik, die intensiv daran arbeitet, die Künstler:innen in der Stadt zu halten, hierfür eine Karriereentwicklung anbietet sowie die Gewährleistung von fairen Arbeitsbedingungen und Kontinuität mitdenkt. Angesichts einer großen, langjährig gewachsenen, hoch innovativen und bundesweit sichtbaren Hamburger Szene sollten alle Anstrengungen der Kulturpolitik darauf abzielen, Hamburg als Produktions- und Lebensort für freie Künstler:innen in allen Sparten sicherzustellen. Alles andere ist ein fataler kulturpolitischer Rückschritt.

Wir begrüßen die Punkte der von der BKM berufenen Jury, die sie in ihrem Kommentar zu den Förderanträgen 24/25 formuliert hat.

Als Vorstand des Dachverbands freie darstellende Künste fordern wir: 

1. die Erhöhung der Projektfördermittel auf mindestens 30% Förderquote.

2. 20% Erhöhung des gesamten Projektförderungsetats zum Ausgleich der HUG: Die im letzten Jahr eingeführte Honoraruntergrenze hat de facto eine Kürzung der Fördervolumina zur Folge und bedarf eines Ausgleichs von 20%. 

3. Anpassung der Förderhöchstsummen (derzeit 50.000€) für faire Arbeitsbedingungen und für gestiegene Durchführungskosten aufgrund der Inflation. Die Erhöhung der Honoraruntergrenzen im Oktober 2023 als Einstiegshonorare und eine Ausdifferenzierung für diejenigen, die schon seit zehn oder zwanzig Jahren tätig sind, müssen berücksichtig werden. Die lange Arbeitsleistung braucht auch in den freien darstellenden Künsten eine Anerkennung, sonst zieht das fortwährend geringe Arbeitseinkommen eine niedrige Altersrente nach sich. 

4. Differenzierung der Förderinstrumente:
(a) Schaffung eines langfristigeren Förderinstruments für fortgeschrittene Künstler:innen.

(b) Einführung einer Ko-Finanzierungsförderung bei zugesicherte Teilfinanzierung durch andere Fördermittelgeber.

(c) Weiteren Fördermöglichkeiten für Barrierefreiheitsmaßnahmen in geförderten Projekten aufgrund des Engagements vieler Künstler:innen im Bereich Inklusion.

(d) Ausdifferenzierung der Recherchestipendien für emergent, mid-career und senior Artists

5. Aufwuchs der Diffusionsförderung auf 300.000 Euro: Die meisten Produktionen der freien Szene werden nur viermal gezeigt. Dem Nachhaltigkeitsgedanken folgend wurde daher 2019 die Diffusionsförderung ins Leben gerufen, die alle drei Monate vergeben wird. In der letzten Runde hatte diese eine Förderquote von knapp 15 Prozent. Obgleich es folglich einen hohen Bedarf im Bereich der Wiederaufnahmen und Gastspiele gibt, können Produktionen auf Grund der finanziell begrenzten Mittel nicht erneut gezeigt werden.

Unsere Forderungen schließen an das Gutachten von Dr. habil. Alexandra Manske an: Es bedarf dringend Maßnahmen, die zur Verbesserung der Lage für die Künstler:innen in Hamburg führen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zeigen eine Verlagerung von kurzfristiger Projektförderung hin zu langfristigen Fördermodellen auf, die ein nachhaltiges Produzieren ermöglichen und gleichzeitig der Relevanz sowie Strahlkraft der Szene gerecht werden, die sie für die Kulturstadt Hamburg innehat. Der Verbleib beim Stand der Förderarchitektur von 2019 führt dazu, dass zahlreiche Künstler:innen in andere Städte oder Bereiche abwandern und so die in den letzten Jahren gewachsene und professionalisierte Szene ausdörrt. Damit die freie Szene ihre Potentiale für die Stadtgesellschaft Hamburgs entfalten kann, müssen die Fördermittel angepasst werden. 

--------

(ENGLISH)

Statement by the Dachverband freie darstellende Künste Hamburg (DfdK, umbrella organization of independent performing arts in Hamburg) on the announcement of project funding for the independent performing arts for the 24/25 season

"A total of 52 independent performing arts projects will be funded by the Ministry of Culture and Media with a total of over 1.7 million euros in the 2024/25 season."

This is how the press release from the Ministry of Culture and Media begins to announce the project funding for the next season. As the board of the DfdK, we would like to use this statement to highlight what this means for independent artists in Hamburg and the existentially threatening situation this creates for the independent performing arts community. 

For the 52 funded applications, there are 265 projects that cannot be realized. We are dismayed and sobered by a funding rate of 12%, especially in the areas of theatre, music, and performance. 

If the independent scene in Hamburg were a theatre, that would mean that 88 out of 100 employees would not receive a salary for a year. How motivated would these 88 people be to carry on? Given the lack of prospects, wouldn't they quickly look for new jobs in other cities or change careers altogether? What would that mean for the 12 employees who receive their salary? What would that mean for the charisma and structure of the theatre? Would the theatre even be able to operating?

We say no! But what does the future hold for this independent theatre, whose relevance in the city's cultural scene is constantly increasing? "The productions often address current social discourses, thus bringing them to the attention of urban society. The projects create new perspectives and proactively encourage the audience to engage in dialog." (Senator Brosda)

A funding quota of 12% in "theatre, music, and performance" cannot mean that attempts must be made here and there to increase the funding volume to be able to continue. A funding rate of 12% calls for a fundamental "need for action that suggests both a new accentuation of the funding architecture and an increase in funding", as Dr. habil. Alexandra Manske in the "Expert report on the current situation of the independent performing arts" published in October 2023.

Artists can only carry out their work if the surrounding conditions are right. Only then can they use their art to shape Hamburg's cultural identity, reflect on social issues and promote social exchange. This requires, among other things, a contemporary funding architecture that enables those involved in the independent performing arts to have a continuous working biography as an artist. 

We call on cultural policy to overcome the precarious working conditions of the independent performing arts community and to increase funding so that the potential of the independent performing arts community in Hamburg, which has grown significantly in recent years, can continue to develop and be harnessed for the benefit of urban society. Finally, the surrounding conditions and working structures of the scene must be developed in terms of diversity and inclusion.

We need a cultural policy that works hard to keep artists in the city, offers them career development opportunities and ensures fair working conditions and continuity. In view of Hamburg's big, long-standing, highly innovative and nationally visible scene, all cultural policy efforts should be aimed at making Hamburg a great city for independent artists in all disciplines to live and produce. Anything else would be a fatal step backwards in terms of cultural policy. 

We welcome the points made by the jury appointed by the Ministry of Culture and Media in its commentary on funding applications 24/25.

As the board of the DfdK, we call for:

1. an increase in project funding to at least 30% funding quota.

2. 20% increase in the total project funding budget to compensate for the recommended minimum wage: The minimum wage introduced last year has resulted in a de facto reduction in funding volumes and requires compensation of 20%.

3. adjustment of the maximum funding amounts (currently €50,000) for fair working conditions and for increased implementation costs due to inflation. The increase in the minimum wage in October 2023 as entry-level fees and a differentiation for those who have been working for ten or twenty years must be considered. Long-term work also needs to be recognized in the independent performing arts, otherwise the continuously low income will result in a low retirement pension.

4. differentiation of the funding instruments:

(a) Creation of a more long-term funding instrument for advanced artists.

(b) Introduction of co-financing funding with guaranteed partial funding from other funding bodies.

(c) Further funding opportunities for accessibility measures in funded projects due to the commitment of many artists in the field of inclusion.

(d) Differentiation of research grants for emerging, mid-career and senior artists.

5. increase in diffusion funding to 300,000 euros: Most productions from the independent scene are only shown four times. With sustainability in mind, diffusion funding was launched in 2019 and is awarded every three months. In the last round, the funding rate was just under 15 percent. Though there is a high demand, the limited funds available do not allow for many productions to be remounted or performed again.

 Our demands complement Dr. habil. Alexandra Manske’s expert opinion: There is an urgent need for measures to improve the situation for artists in Hamburg. The proposed measures show a shift from short-term project funding to long-term funding models that enable sustainable production. At the same time, these measures need to do justice to the relevance and radiance of the scene in the cultural city of Hamburg. Keeping the 2019 funding architecture will result in numerous artists migrating to other cities or changing careers, causing the professionalized scene, which has grown in recent years, to dry up. In order for the independent scene to develop its potential for Hamburg's urban society, the funding subsidies must be adjusted.


Empfehlen: